«Projektunterricht ist eine grosse Chance»
Es besteht also nicht die Gefahr, dass sich die Schere zwischen stärkeren und schwächeren Schülerinnen und Schülern weiter öffnet?
Davon auszugehen, dass schulisch schwächere Schülerinnen und Schüler automatisch auch beim projektbasierten Lernen schwächer sind, wäre ein Trugschluss. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Kräfte und welches Potenzial Kinder und Jugendliche freisetzen, wenn sie sich in etwas vertiefen können, was sie interessiert. Projektunterricht ist deshalb eine grosse Chance – gerade für schulisch Schwächere. Weil auch sie ein Erfolgserlebnis haben können und am Schluss etwas vorzuweisen haben.
Projekte kann man in Gruppen oder allein umsetzen. Welche Form eignet sich wozu?
Von der Definition her ist projektbasiertes Lernen als Gruppenarbeit angedacht: das gemeinsame Lernen, der Austausch. Dennoch wird es auch immer wieder Einzelarbeiten geben. Der Vorteil der Gruppenarbeit ist sicher, dass man lernt, verschiedene Perspektiven zu verstehen und einzubeziehen, allenfalls auch Konflikte in der Gruppe zu lösen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und als Team etwas zu erreichen. Einzelarbeiten haben dagegen den Vorteil, dass sie noch individueller und personalisierter sind und so die persönliche Verantwortlichkeit und die Selbstregulation der einzelnen Schülerinnen und Schüler noch mehr stärken. Wenn es sich um grössere Projekte handelt, ist bei Einzelarbeiten aber das Risiko der Überforderung grösser– eine Gruppe ist letztlich immer auch eine Ressource, die man nutzen kann. Namentlich bei der Maturarbeit setzen sich viele Jugendliche sehr hohe Ziele.
Wie gross ist hier das Risikoder Selbstüberforderung?
Bei den Maturarbeiten wird teilweise tatsächlich über das Ziel hinausgeschossen. Man sollte nicht vergessen: Eine Maturarbeit ist eine wissenschaftspropädeutische Arbeit, also noch keine wissenschaftliche Arbeit und schon gar keine Masterarbeit oder Dissertation. Unsere Untersuchungen haben ausserdem ergeben, dass sich viele Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf ihre Maturarbeit gewünscht hätten, dass die Kompetenzen, die für eine solche Arbeit nötig sind, vorgängig geübt worden wären. Denn wenn man das nicht übt, besteht die Gefahr, dass man sich zu viel vornimmt oder nicht sauber plant. Auch der betreuenden Lehrperson kommt eine wichtige Rolle zu. Sie muss zusammen mit der Schülerin oder dem Schüler genau abklären, ob das Projekt umsetzbar ist, ob die Ziele so gesetzt sind, dass der Rahmen einer Maturarbeit nicht gesprengt wird. Darum sollte die Begleitung vor allem zu Beginn sehr eng sein. In den Mittelschulen wurde vor einigen Jahren das Projekt Selbstorientiertes Lernen – kurz SOL – umgesetzt, um die Schülerinnen und Schüler an das selbstständige Arbeiten heranzuführen.
Funktioniert SOL demnach nicht?
Bei SOL geht es vor allem um Unterrichtsstrukturen, die man den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stellt –sie bekommen mehr Eigenverantwortung, arbeiten öfter selbstständig. Damit haben sie aber noch nicht gelernt, wie selbstständiges Arbeiten funktioniert. Es gibt sicher die, die dies sinnvoll nutzen können, weil sie die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen, aber es gibt auch jene, die in diesen Strukturen verloren sind. Ihnen muss man zeigen, wie man mit dieser Eigenverantwortung umgeht. Unsere Studie zum selbstregulierten Lernen hat gezeigt: Es wird zwar viel implizit gemacht oder vorausgesetzt, aber die überfachlichen Kompetenzen, die es dafür braucht, werden noch zu wenig explizit vermittelt.
Das heisst, diese Kompetenzen lernt man nicht einfach «by doing»?
Nein, auch wenn dies eine gängige Annahme ist. Es reicht bei Weitem nicht, Schülerinnen und Schülern einfach einen Projektauftrag zu erteilen und zu denken, auf diese Weise würden sie sich die nötigen überfachlichen Kompetenzen aneignen. Unsere Forschung zeigt sogar, dass etwa die Anwendung von Lernstrategien auf Sekundarstufe I im Vergleich zur Primarstufe eher abnimmt. Das Wissen darüber, was Strategien sind und wann, wie und warum sie eingesetzt werden, bebeginnt in der Sekundarschule zu stagnieren. Dies weist klar darauf hin, dass noch Potenzial besteht, diese Kompetenzen explizit zu vermitteln und die Schülerinnen und Schüler anzuregen, solche Strategien einzusetzen.
Sie sind auch in der Ausbildung von Mittelschullehrpersonen tätig: Lernen die Studierenden, wie man diese Kompetenzen vermittelt?
Dies wurde bedauerlicherweise lange Zeit vernachlässigt. Mittlerweile thematisieren wir das sehr intensiv. Unsere Studierenden lernen, was es alles für Kompetenzen gibt und wie man sie vermittelt. Wir bieten ausserdem Seminare zu Themen wie Lernbegleitung oder Förderung überfachlicher Kompetenzen an. Aus meiner Sicht wäre es jedoch wichtig, das Thema nicht nur in der Pädagogischen Psychologie, sondern auch in der Fachdidaktik stärker zu verankern. Die Studierenden sollten sich vermehrt damit auseinandersetzen, was sie in ihrem Fach wie umsetzen und vermitteln können.
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