Dank «bili» in die Welt hinaus

Liv Wolfermann glaubt, dass auch ihre Kolleginnen und Kollegen die Schwellenangst abbauen könnten, wenn sie wüssten, dass «bili» nicht mit klassischem Sprachunterricht zu vergleichen sei.
Auch für sie selbst sei das wichtig gewesen. Fremdsprachen, sagt sie, seien nicht ihre Stärke. Aus zwei Gründen habe sie sich dennoch für «bili» entschieden: weil das Projekt sie herausfordere und weil es eine Chance sei, miteinander zu lernen. «Die Lernenden können sehen, dass auch ich mal um Worte ringe.» Diese lebendige Lernatmosphäre gefalle ihr. «Sie gibt mehr Spielraum für Kreativität und Peer-Feedback und fördert die Schüleraktivierung.»
Booster für die Zusammenarbeit
Um mit «bili»-Klassen arbeiten zu können, müssen Lehrpersonen eine methodisch-didaktische Zusatzausbildung für zweisprachigen Unterricht absolvieren. Ein entsprechendes Angebot gibt es unter anderem an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Je nach Stand der Englischkenntnisse kommen noch Sprachkurse dazu.
Für den allgemeinbildenden Unterricht wird Niveau C1 gemäss Europäischem Sprachenportfolio verlangt, für Berufskundeunterricht B2. Dazu kommt ein höherer Vorbereitungsaufwand, vor allem in den berufskundlichen Fächern.
Während es in der Allgemeinbildung Lehrmittel auf Englisch gibt, muss Fachlehrer Oliver Merz vieles selber entwickeln, etwa die Arbeitsblätter, die er in den Vertiefungsphasen einsetzt. Aufwendig sei namentlich die Suche nach den Fachbegriffen. «Aber das macht meinen Arbeitsalltag auch megaspannend.» Für Liv Wolfermann spricht auch die engere Zusammenarbeit zwischen ABU- und Fachkundelehrpersonen für «bili». «Das wird ja immer wieder gewünscht, aber in der Praxis nicht wirklich umgesetzt. ‹bili› ist ein Booster für die fachübergreifende Zusammenarbeit.»
Ab dem kommenden Schuljahr wird diese Zusammenarbeit personell noch einmal erweitert. Neu kommt auch die Sportlehrperson ins «bili»-Team, womit den angehenden Schreinerinnen und Schreinern der gesamte Berufsschulunterricht zweisprachig angeboten werden kann. Dies dürfte durchaus im Sinne der Lernenden sein. Fragt man sie, was sie nach fast einem Jahr von «bili» halten, fallen die Antworten durchs Band positiv aus.
Ghislain Bär etwa findet den Unterricht entspannt. «Es ist eine gute Mischung aus Englisch und Deutsch.» Den Mehraufwand hält er für überschaubar. Mathias Hercigonja, der in Zürich Affoltern die Lehre macht, findet es gut, dass er nicht unnötiges Englisch lernen muss, sondern jene Begriffe, die man im Beruf tatsächlich anwenden könne – vielleicht später auch international: «Ich würde gern mal ausprobieren, wie es ist, im Ausland zu arbeiten.» Auch Sofie Bigler, die «megagern» Englisch spricht, hofft, dass sie ihrem Beruf dank «bili» dereinst auch jenseits der Landesgrenzen nachgehen kann. Wobei ihr die erweiterten Sprachkenntnisse jetzt schon zugutekommen. Im Kleinbetrieb, in dem sie arbeitet, spricht ausser ihr niemand gut Englisch. «Wenn wir bei Kunden sind, die nicht Deutsch können, holt der Chef fast immer mich.»
Fremdsprachenlücke schliessen
Gemäss einer Studie der Universität Genf lohnt sich Mehrsprachigkeit auch finanziell. Wer eine zweite Landessprache und Englisch beherrscht, verdient durchschnittlich 20 Prozent mehr als jemand, der nur eine Sprache spricht. Vor diesem Hintergrund wird die Tatsache, dass nur etwa die Hälfte der Berufslernenden ohne Berufsmaturität in den Genuss von Fremdsprachenunterricht kommt, immer wieder bemängelt.
«bili» wurde unter anderem lanciert, um diese sogenannte «Fremdsprachenlücke» zwischen Volksschule und Arbeitswelt zu schliessen. Damit seine Lernenden nicht nur im Klassenzimmer an dieser Lücke arbeiten können, hat Oliver Merz in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Mobilität der BBZ eine Kooperation mit einer englischen Schule aufgegleist. Bald werden einige Lernende im dritten Ausbildungsjahr ein Praktikum am Shrewsbury College südlich von Liverpool absolvieren. Während dreier Wochen werden sie in der dortigen Werkstatt eine sogenannte viertelgewendelte Treppe bauen, Betriebs- und Baustellenbesichtigungen machen und bei einer Gastfamilie wohnen. Dieser Pilot stehe im Zeichen der Talentförderung, erklärt Merz.
Für «bili»-Lernende hingegen solle in Zukunft ein Aufenthalt in England im Laufe des sechsten Semesters zur Norm werden. Bald werde er sie über dieses Projekt informieren. «Dann werden die aktuellen fünf Plätze nicht reichen.» Er hofft, dass er genügend Praktikumsplätze sichern kann, bis der erste Jahrgang so weit ist. «Ich möchte, dass die jungen Berufsleute in die Welt hinausgehen, um zu erfahren, wie es dort ist», antwortet Oliver Merz auf die Frage, warum er sich für «bili» derart ins Zeug legt. Zu sehen, wie man anderswo arbeite, bringe viel. Man lerne Neues und werde offener. «Dabei helfen Sprachkenntnisse, und Englisch bietet sich besonders an.»
Quelle: Zum Original-Inhalt